»Hier helfen uns keine Kafka-T-Shirts«

Die Welt als Netz aus Orten, die Literatur als Schnittpunkt aus Gehörtem und Aufgeschriebenen. An diesem Diskussionsabend treffen die Orte und Generationen zusammen. Theresienstadt, Belarus, Stuttgart, Prag, Katyn, Chatyn, San Francisco. Narrative und Zeiten werden vermischt, wenn das Literaturhaus Stuttgart die US-Amerikanische Autorin Molly Antopol (*1979) zur Diskussion bittet, ihr gegenüber sitzend Jáchym Topol (*1962), tschechischer Schriftsteller und Journalist mit Wurzeln im tschechoslowakischen Literatur-Untergrund. Dazwischen: Claudia Sinnig, langjährige Übersetzerin, Osteuropa-Kennerin, profilierte Fachfrau für Litauen. Der Abend verdichtet sich dann auf einen Ort, eine Fragestellung in den Büchern von Antopol & Topol. Weißrussland und das Erbe der Shoa, die Erzählung von und über den Zweiten Weltkrieg. In ihrer Geschichtensammlung »Die Unamerikanischen« folgt Antopol verschiedenen Pfaden jüdischer Vergangenheit. »Ich werde ihn immer als den kältesten Erinnerung behalten. Diesen Winter, in dem ich heißen Tee in der Tasse gefrieren sah«, erzählt die Großmutter ihrer Enkelin. Eine Geschichte, die zwischen dem New York der Gegenwart und jenem Winter im weißrussischen Wald stattfindet, wo polnische, russische und jiddische Partisanen ums Überleben kämpfen. Wo die Großmutter ihren zukünftigen Ehemann »trifft«.

»Das hier ist Weißrussland mein Lieber. Hier helfen uns keine Kafka-T-Shirts«

»What remains, what should remain and what will remain?« fragt Moderatorin Claudia Sinnig zu Beginn der Gesprächsrunde. Jáchym Topol nähert sich ganz konkret der Erinnerungskultur, lässt seine brachiale Groteske »Die Teufelswerkstatt« in Theresienstadt (oder Terezín, wie es heute wieder heißt) beginnen, wo die kiffenden Enkel von KZ-Überlebenden die Erinnerung wachhalten wollen. Sie sind zum Scheitern verdammt, nehmen sie noch Größeres vor, ziehen von Tschechien weiter nach Osten. Topol lässt die Naivität in seinem Text lakonisch zerschellen: »Das hier ist Weißrussland mein Lieber. Hier helfen uns keine Kafka-T-Shirts.«

Mit Akribie und Empathie

Neben dem konkreten Thema, wie man an Geschichte und Ereignisse erinnern kann und soll, wird auch eine poetologische Frage in den Raum gestellt: Wie kann ich als Nachgeborener von Orten und Menschen, von bestimmten Zeiten erzählen, die ich nicht selbst erlebt habe? Molly Antopol stürzt sich mit Akribie und Emapthie in die Archive, in Gespräche, aber: »I always come up short, and it’s always this feeling of trying so hard to get all the details right and to make sure that I am getting the research correctly but every time there are these big gaps in the research. And the gaps come from, maybe beeing able to find the factual truth of the things I am looking for, but never beeing able to find the emotional truth.«

Die Veranstaltung fand am 30.03.2017 unter dem Titel »Von Politik und Poesie« im Literaturhaus Stuttgart statt.